Titel: | Zum Teufel mit Kafka |
Autorin: | Maria Zaffarana |
Veröffentlichung: | September 2020 |
Verlag: | Telegonos |
Klappentext | Zum Teufel mit Kafka
Leopold ist ein schwer gebeutelter Mann. Er hat eine Schwiegermutter, die er hasst und mit der er mehr Zeit verbringen muss, als ihm lieb ist. Warum? Seine Frau will es eben so. Die hat nämlich einen ausgeprägten Mama-Komplex. Das wäre an sich schon schlimm genug, wenn da nicht auch noch der Rest seiner sonderbaren Familie wäre: Seine pubertierenden Zwillinge, der schwerhörige Vater, die verträumte Mutter, die gefräßige Tante und der transsexuelle Bruder halten ihn ganz schön auf Trab. Zum Glück gibt es da noch Gregor, Leopolds einzigen Freund. Der wohnt einsam in einem verlassenen Haus mit Madame Lunette zusammen, einem äußerst einsilbigen Papagei. Doch auch Gregor hat mehr Macken als ein 20 Jahre altes Auto.
Zum Teufel mit der Schwiegerhexe
Zugegeben, ich hatte befürchtet, der Roman Zum Teufel mit Kafka aus der Feder Maria Zaffaranas endet genauso wie er beginnt: mit klirrenden, schrecklich blumigen, auf Hochglanz polierten Tassen. Aber nein, diese Befürchtung sollte sich als völlig unbegründet erweisen. Das Ende dieses schamlos überzogenen Büchleins gefällt mir sogar außerordentlich gut, denn, obwohl es die Handlung als fragmentarischer Cut an offener Stelle unterbricht, hinterlässt es in gewisser Weise doch ein rundes, abgeschlossenes Lesegefühl.
Anstatt den Gaul von hinten aufzuzäumen, sollten wir jedoch, auch wenn wir darüber sprechen, dort beginnen, wo ein jede*r Lesende*r ansetzt: Am Anfang. Ausgenommen sind hier natürlich jene, die ihre Lektüre, unbedacht etwaiger Spannungsbögen und offenbar gegen jegliche Spoilergefahr gefeit, stets auf der letzten Seite eines Romans beginnen. Bitte fühlt euch an dieser Stelle einfach mitgedacht und mitgemeint.
Zurück also zu den Tassen. Von diesen scheint Irene in Zum Teufel mit Kafka besessen, denn schließlich hat sie die Schmuckstücke von ihrer herzallerliebsten Mutter vermacht bekommen. Dass die gute alte Uschi die hässlichen Dinger aller Wahrscheinlichkeit nach ihrerseits nur elegant entsorgen wollte, möchte deren gutgläubige Tochter allerdings nicht einsehen. Irene, das ist übrigens die Ehefrau des Protagonisten Leo. Ja genau, der Leo, jenes schwer gebeutelte Mannsbild, das uns schon im Klappentext versprochen wird. Dieser führt uns nämlich auf gedanklich-assoziative Weise als autodiegetischer Erzähler – ein klassischer Ich-Erzähler, wenn man so will – durch den Roman, weshalb wir zur Genüge erfahren, was der gute Leo mag und was der gute Leo nicht mag, was dafür seine teuflische Schwiegermutter mag, denn diese beiden Bereiche stehen sich grundsätzlich komplementär gegenüber, und zu was sich der arme Leo alles opfern muss, um den «Familienfrieden» zu wahren.
Ja, das Leben des Familienvaters, Ehemanns, Schwiegersohns und Promi-Redakteurs Leopold ist alles andere als leicht. Wäre da nur nicht sein eigenbrötlerischer alter Studienfreund Gregor, dem er jeden einzelnen Tag einen Besuch abstattet. Gregor ist so ziemlich genau das, was man sich unter einer kafkaesken Figur vorstellt. Ein schweigsamer, introvertierter, sozialphobischer, möglicherweise asexueller selbsternannter Schriftsteller, der jedoch noch nie ein Werk fertigzustellen vermochte, ebenso wenig freiwillig mit Leuten in Kontakt tritt und außerdem von der finanziellen Unterstützung seines strengen Vaters abhängig ist. Von dem er sich übrigens bevormundet, kontrolliert und vor allem unter Druck gesetzt fühlt – allem Anschein nach zurecht. Jedenfalls scheint die beiden ein extrem konfliktträchtiges Verhältnis zu verbinden. Na, klingelt’s?
Schrill, schräg und doch – authentisch?
Zum Teufel mit Kafka entführt uns in den Alltag einer kleinbürgerlichen Familie irgendwo in einer deutschen Großstadt. Nicht in Bayern, so viel ist klar, denn aus Bayern kommt hier nur Uschis dümmliche wirkender fünfter Ehemann Gustl, der die Berge über alles liebt und allem – und damit meine ich wirklich allem – anderen offenbar völlig teilnahmslos gegenüber steht.
Der Roman verfolgt weder einen klaren Handlungs- noch einen Spannungsbogen und lässt uns stattdessen jenen Alltagswahnsinn in der Familie Leopolds miterleben. Im Grunde hangelt er sich von einer pointierten, aber ungeliebten Familienzusammenkunft zur nächsten und wird dabei immer wieder von den assoziativen Reflexionen des Erzählers über die anderen anwesenden Personen und vergangene gemeinsame Erlebnisse unterbrochen. Die Komik entsteht aus der satirischen Überzeichnung von Situationen, bei denen sich vermutlich ein jede*r früher oder später eingestehen muss, die eigene Familie in gewisser Weise wiederzuerkennen.
Die Figuren in Zum Teufel mit Kafka – allen voran Leo, daneben seine Frau Irene, seine pubertierenden Zwillingskinder, die garstige Schwiegermutter Uschi samt Mann und gefräßiger, aber herzallerliebster Schwester, seine eigenen Eltern und natürlich seine Schwester Alicia, die zwar permanent erwähnt wird, aber leider nur sehr spärlich selbst die Bühne betritt – nehmen allesamt statisch-stereotypische Rollen ein, die zwar in sich selbst völlig skurril repräsentiert werden, aber in ihrer Dynamik als Familie eine Authentizität ausstrahlen, die doch geradezu aus dem Leben gegriffen zu sein scheint. Nicht zu vergessen natürlich Gregor, der eigentlich so gar nichts mit Leos Familie am Hut hat, was dabei wiederum wenig verwunderlich ist, da er neben seinem Papagei Madame Lunette mit absolut nichts etwas am Hut hat.
Was mir während der Lektüre von Zum Teufel mit Kafka jedoch bei all dieser parodistisch-schrägen Liebenswürdigkeit in zunehmendem Maße bitter aufstieß war die Figur Alicias, der Schwester Leopolds. Genau genommen finde ich ihre Figur sogar ganz hervorragend und hätte mir eine größere Rolle für die erfolgreiche und von dem ganzen Kindergarten offenbar völlig unbeeindruckten Ärztin inmitten dieser chaotischen Familienzusammenkünfte gewünscht. Dass sie es allerdings weiß, sich aus dem Familienwahsinn rauszuhalten, kann ihr aber vermutlich niemand verübeln. Nein, was mich mit jedem Kapitel mehr störte, war das kontinuierliche Misgendering dieser Trans-Frau. Denn Alicia war einst Leopolds Bruder, hatte ihr Coming-out aber bereits als Jugendliche.
Natürlich muss ich dem Text die gewisse Komik eingestehen, die aus einer gewohnheitsmäßigen Verwirrung der Artikel und Personalpronomen herrühren kann. So kommentiert etwa der Protagonist mit einem leicht resignierten Unterton das Verhalten ihrer beider – durchaus liebevollen und liebenswerten – Mutter, die sich darüber echauffiert, dass Alicia immer ihr Sohn bleibe und sie deshalb der Meinung sei, von «dem Alicia» zu sprechen sei ein guter Kompromiss für alle. Leo selbst spricht zu Beginn im Wechsel von «ihm» und «ihr», ja scheinbar völlig wahllos von «seinem Bruder» und «seiner Schwester» – auch hier bin ich noch gewillt, eine gewisse humoristische Note in dieser bisweilen erzwungenen Alltagskomik erkennen zu wollen. Allerdings wandelt sich die zur Schau gestellte Identitätsverwirrung ziemlich schnell in ein kontinuierliches Misgendering, das im konsequenten «mein Bruder Alicia» für den gesamten Rest des Romans jegliche Spur eines Witzes missen lässt und sich stattdessen für ein rundum cissexistisches Framing dieser so wunderbar angelegten Figur entscheidet.
Eine kafkaeske Hommage
Zum Teufel mit Kafka kann guten Gewissens als das gelesen werden, was es zu sein verspricht: eine humoristische Hommage an einen großen Schriftsteller. Die Rolle des eigensinnigen Gregors schreit den Lesenden nur so ins Gesicht: «Ich bin eine Kafka-Figur!» – und das liegt nicht nur an der Namensvetterschaft mit Kafkas bekanntestem literarischen Charakter. Humoristisch-überzogen, das steht außer Frage, verkörpert Gregor das, was man sich von dem in sich gekehrten, mit sich selbst hadernden Franz Kafka vorstellt.
Doch die impliziten Kafka-Referenzen gehen über die wenigen Passagen hinaus, in denen Leopold seinen egozentrischen Freund besucht. Da wäre etwa der berühmte Vaterkomplex, aus dem in der Figur Irenes auch ein Mutterkomplex wird, die Gesellschaftskritik in Form der grotesken Familienzusammenkünfte, innerhalb derer alle hemmungslos zu ihrem tatsächlichen Charakter aufzublühen scheinen, die kontinuierlich auf die Probe gestellten, aber niemals hinterfragten Machtbeziehungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und nicht zuletzt der Protagonist selbst, der sich permanent mit seinem Umfeld vergleichen muss und dementsprechend die täglichen Auszeiten im unmittelbaren Gegenüber Gregors zu brauchen scheint, um sich selbst seine eigene, gefestigte Position als kleinbürgerlicher Familienvater bewusst zu machen.
Maria Zaffarana präsentiert ihren Lesenden in Zum Teufel mit Kafka auf geschickte Art und Weise deren eigene, groteske Lebensrealität. Dies gelingt ihr, ohne dabei jenen bedrückenden Schwermut zu provozieren, der sich vergleichbarer Texte nicht selten bemächtigt. Nein, Zum Teufel mit Kafka hangelt sich von einer humoristischen Pointe zur nächsten, sorgt für eine durchweg erheiternde Leseatmosphäre – und hält uns ganz nebenbei ebenjenen unbarmherzigen Spiegel vor Augen, in dem wir uns an dem Alltagswahnsinn einer Familie ergötzen, die noch chaotischer scheint als die eigene.
Kurz & Bündig
Positiv | Negativ | |
---|---|---|
Schreibstil | Flüssig & verspielt ★ | – |
Spannung | Tritt hinter dem Humor zurück ★ | – |
Charaktere | Grotesk-überzogen ★ | Cissexistisches Framing queerer Figuren ☆ |
Setting | Alltagswahnsinn in a nutshell ★ | – |
Handlung | Fragmentarisch ★ | Kein klarer Handlungsbogen ☆ |
Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆
Ich bedanke mich herzlich bei der Autorin Maria Zaffarana für die freundliche Zusendung des Rezensionsexemplars.
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