E-Book "Dschinn" von André Wegmann. Zu sehen auf einem Tablet, das an einer Steinwand lehnt, am Boden liegen herbstliche Blätter.

„Dschinn“ von André Wegmann | Rezension

Titel:Dschinn
Autor:André Wegmann
Veröffentlichung:November 2019
Verlag:Redrum

Klappentext | Dschinn

In der weltweit größten Sandwüste lauert seit dem Anbeginn der Zeit etwas Ursprüngliches und Böses. Es wartet nur darauf, zu töten.

Kurz nach einem Urlaub im Sultanat Oman richtet ein sechzehnjähriger Teenager in einem norddeutschen Dorf ein Massaker an, in dessen Verlauf er seine Freunde, seine Familie und dann sich selbst tötet. Wenig später verschwindet eine junge Studentin. Privatermittler Christian Harms erhält den Auftrag, sie zu finden. Bald geschehen weitere bestialische Morde und Harms, der Unterstützung von einer attraktiven Nonne bekommt, sieht sich mit einer entsetzlichen Gefahr konfrontiert, die nicht nur seine Glaubensvorstellungen zerstört, sondern auch sein Leben und das vieler weiterer Menschen bedroht.

Wenn das Böse erwacht

Was mit einem idyllischen Familienurlaub beginnt, endet wenige Wochen später in einem blutigen Massaker – und bringt das ultimative Böse in den beschaulichen niedersächsischen Ort Esterwegen. Als dort kurz darauf noch mehr grauenvolle Morde geschehen, fängt sogar der eigenbrötlerische Privatdetektiv Christian Harms an, zu glauben. Gemeinsam mit der Ordensschwester Bernadette nimmt er die Herausforderung des Dschinns an und stellt sich dem Dämon entgegen.

André Wegmanns Dschinn entführt die Lesenden in eine mit ihren knapp 6000 Einwohnern relativ überschaubare norddeutsche Gemeinde. Inmitten ausgedehnter Hochmoore und in unmittelbarer Nachbarschaft der Gedenkstätte Esterwegen, die an das zeitweilig zweitgrößte Konzentrationslager auf deutschem Boden erinnert, generiert dieser real existierende Ort bereits von sich aus Gefühle der Düsternis und Beklemmnis. In anderen Worten: Esterwegen ist der perfekte Schauplatz für einen starken Horrorthriller mit übernatürlichen Elementen.

In Dschinn wechselt von Kapitel zu Kapitel die Erzählperspektive. Auf der einen Seite werden immer wieder neue Figuren eingeführt, die aus einer internen Fokalisierung heraus erzählen und kurze Zeit später auf grausamste Art und Weise das Zeitliche segnen werden, wobei sie zunächst mehr oder weniger lange Momente der blanken Angst durchleben, die wunderbar atmosphärisch aufgebaut werden. Diese überaus bildgewaltigen Berichte werden regelmäßig von Abschnitten aus dem Blickwinkel des Protagonisten Christian Harms heraus unterbrochen, der den schrecklichen Geschehnissen auf der Spur ist.

Wenn auch eine gewisse Vorliebe einiger Figuren zu Alkohol im Allgemeinen und Whiskey im Besonderen sofort ins Auge sticht, so besitzt doch jede ganz klar ihren eigenen, unverkennbaren Charakter. Allen voran natürlich der Protagonist, ein Privatdetektiv und ehemaliger Polizeikommissar, der aufgrund seiner sich nach dem Unfalltod seiner Familie häufenden pathologischen Jähzornattacken aus dem aktiven Dienst ausscheiden musste. Im Rahmen seiner Ermittlertätigkeit wird er auf das Verschwinden einer jungen Studentin im Esterweger Moor angesetzt, wo er auf die außerordentlich gut aussehende – wie bei jeder Gelegenheit betont wird – Nonne Bernadette trifft.

Mit dem verbitterten Atheisten mit Alkoholproblem und der tiefgläubigen Ordensschwester stehen sich im Zentrum von Dschinn zwei Charaktere gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch gerade diesen Differenzen scheint eine gewisse Anziehungskraft innezuwohnen, die sich in erotischen Schwingungen zwischen den beiden manifestiert. Auch wenn Christian Harms sich im Verlauf der Handlung immer mehr in die Nonne verliebt und er mit seinen Gefühlen offenbar nicht allein ist, dreht sich Dschinn nicht um einen banalen sexuellen Tabubruch. Der feuchte Traum zweifelsfrei zahlreicher Männer zeichnet sich zwar ab, steht aber nicht im Mittelpunkt.

Während die ein oder andere Bewertung des Romans in einschlägigen Portalen (wie etwa hier oder hier) die Existenzberechtigung Schwester Bernadettes in der Handlung infrage stellt, kann ich diese Meinung keinesfalls teilen. Obwohl die Erzählung niemals ihre Perspektive einnimmt, gewinnen wir durch die Augen Harms’ einen umfassenden Eindruck ihrer scharfzüngigen Persönlichkeit, aber auch ihrer Ängste und Sorgen. Dies und ihr gutmütiger Charakter machen sie zu einer nahbaren und überaus sympathischen Figur. Außerdem spielt sie als Frau des Glaubens eine wesentliche Rolle im Kampf gegen den Dämon, der Esterwegen bedroht. Denn im Angesicht des Dschinns wird auch die Existenz eines Gottes impliziert und so mancher religiöser Mythos mit neuer Bedeutung versehen.

André Wegmann nimmt in Dschinn kein Blatt vor den Mund. Die zahlreichen Opfer des Dämons, die aufgrund ihrer Vergänglichkeit jeweils nur sehr rudimentär als Charaktere aufgebaut werden, werden allesamt auf abartige Art und Weise hingerichtet. Die Bildgewaltige Sprache des Autors lässt die ausführliche Beschreibung der einzelnen Verstümmelungen und zerfleischten Körperteile – beziehungsweise «Nicht-mehr-Körperteile» – in diesen gorelastigen Szenen geradezu greifbar werden.

Jene intensive Beschreibung der Körperlichkeit, die den brutalen Hinrichtungsszenen ihren immersiven Charakter verleiht, bewirkt allerdings in den expliziten Sexszenen das genaue Gegenteil – was keinesfalls an dem liegt, was dort konkret passiert. Die vulgäre Beschreibung sexueller Handlungen und der beteiligten Körperteile, die mitunter mit zweifelhaften Wortschöpfungen wie «Lustspalte» oder gar falschen Namen bezeichnet werden (nein, eine «Vagina» ist nicht das, was man von außen sieht…), erinnert jedoch an einen Billigporno und erstickt jegliche aufkommende Sinnlichkeit im Keim. Falls es im Sinne des Autors stand, mit den expliziten Erotikszenen einen ähnlichen Ekelfaktor zu erzeugen, wie mit dem allgegenwärtigen Gore, dann ist ihm dies gelungen.

Da es sich bei Dschinn jedoch um einen Horrorroman und nicht um eine Erotikerzählung handelt, steht dieser Kritikpunkt eher am Rande. Der titelgebende Dschinn stellt als übernatürlicher Antagonist dieses mit dem Urban-Fantasy-Genre angehauchten Romans das absolute Böse dar. Eingebettet in einen umfassenden mythologischen Hintergrund aus dem islamischen Glauben überzeugt der Dämon in seiner schaurigen Rolle auf allen Ebenen. Zwischen blinder Rachsucht, ehrgeizigem Konkurrenzkampf und blanker Brutalität macht der Dschinn Esterwegen unsicher und fordert bei seiner ersten Begegnung mit dem Protagonisten diesen schließlich zu einem persönlichem Finale heraus, das noch einmal unzählige Todesopfer fordert. Indem der Dschinn die Form von Tieren annehmen und Menschen besitzen sowie deren Gedanken lesen kann, jagt er den Lesenden gekonnt einen Schreckensschauer nach dem anderen über den Rücken.

Blutiger Horror ohne Blümchen

E-Book "Dschinn" von André Wegmann. Zu sehen auf einem Tablet, das an einer Steinwand lehnt, am Boden liegen herbstliche Blätter.
„Dschinn“ – unheimlich und gehaltvoll

Mit Dschinn beschert André Wegmann seinen Lesenden einige Stunden brutalen Horrorgenusses, der sie das Buch so schnell nicht mehr aus der Hand legen lässt. Der grobe Handlungsbogen des Romans mag für das Genre nichts Besonderes sein, doch dem Autor gelingt es durch die Kombination uralter Mythologien mit dem für sich schon unheimlichen Setting des Esterweger Moors, wo es offenbar dauernd zu regnen scheint, ein düsteres Gesamtbild zu zeichnen. Inmitten dieses Rahmens überzeugen nicht nur die Protagonisten, sondern vor allem auch der Dschinn als unmittelbares Böses, das auf glaubwürdige Weise die Menschheit in die Verdammnis zu reißen trachtet.

Die banalen, vulgär-deskriptiven Sexszenen, welche die so geschickt aufgebaute Immersion aus Spannung und Schock leider hin und wieder unterbrechen, stellen die große Schwäche dieses sprachgewaltigen Romans dar. Ein weiterer Kritikpunkt liegt in der Geschlechterverteilung des Figurenpersonals. Fast alle Charaktere, deren Blickwinkel wir als Lesende im Wechsel einnehmen, sind generische Männerfiguren. Die einzigen beiden Frauen sowie das Mädchen, deren Kapitel direkt vor ihrer jeweiligen Verdammnis ausgesprochen kurz ausfallen, sind dagegen als Individuen leider wenig überzeugend.

Abgesehen von den beiden genannten Aspekten, für die es insgesamt einen Punkt Abzug gibt, handelt es sich bei Dschinn um einen soliden Horrorthriller, der die Lesenden mit seinem intensiven und brutalen Erzählstil sowie mit seiner mythologiebasierten Handlung für sich gewinnt, in der eine uralte orientalische Macht auf eine deutsche Gemeinde und ihre nationalsozialistische Vergangenheit trifft. Die Figuren sind zwar relativ einseitig männlich, aber insbesondere der Protagonist Christian Harms überzeugt durch seine authentische, aber auch skrupellose Art. Die Lektüre von Dschinn ist auf schockierende Weise furchterregend und fesselnd zugleich.

Für Horrorbegeisterte spreche ich somit gerne eine uneingeschränkte Leseempfehlung aus!

Kurz & Bündig

PositivNegativ
SchreibstilIntensiv, immersiv & brutal ★Vulgär-deskriptive Sexszenen ☆
SpannungSehr hoch ★
CharaktereÜberzeugend ★Ausschließlich Cis-männliche Perspektive ☆
SettingUralte orientalische Macht trifft auf urdeutsches Moor ★
HandlungInnovativ & packend ★

Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆

Ich bedanke mich herzlich beim Autor André Wegmann für die freundliche Zusendung des Rezensionsexemplars.


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