"The Guest List" von Lucy Foley liegt in einer Wiese voller herbstlichem Laub

„The Guest List“ von Lucy Foley | Rezension

Titel:The Guest List
Autorin:Lucy Foley
Veröffentlichung:Februar 2020
Verlag:Harper Collins

Blurb | The Guest List

The bride ‧ The plus one ‧ The best man ‧ The wedding planner ‧ The bridesmaid ‧ The body

On an island off the coast of Ireland, guests gather to celebrate two people joining their lives together as one. The groom: handsome and charming, a rising television star. The bride: smart and ambitious, a magazine publisher. It’s a wedding for a magazine, or for a celebrity: the designer dress, the remote location, the luxe party favors, the boutique whiskey. The cell phone service may be spotty and the waves may be rough, but every detail has been expertly planned and will be expertly executed.

But perfection is for plans, and people are all too human. As the champagne is popped and the festivities begin, resentments and petty jealousies begin to mingle with the reminiscences and well wishes. The groomsmen begin the drinking game from their school days. The bridesmaid not-so-accidentally ruins her dress. The bride’s oldest (male) friend gives an uncomfortably caring toast.

And then someone turns up dead. Who didn’t wish the happy couple well? And perhaps more important, why?

Alle haben ein Geheimnis

Eine kleine, verlassene Insel im Atlantik. Eine extravagante Hochzeit. Ein undurchdringbares Unwetter. Ein Mord. The Guest List.

Jules betreibt ein eigenes und sehr erfolgreiches Lifestyle-Magazin, Will wurde als Star der vor allem bei Frauen beliebten Reality-TV-Serie Survive the Night berühmt. Die Braut weiß was sie will – und erreicht dies auch. Der Bräutigam ist es gewohnt, alles zu bekommen, was er will. Ihre gemeinsame Hochzeit feiern sie auf Inis an Amplóra, einer fiktiven, winzigen Insel vor der Küste Connemaras. Die Hochzeitsplanerin Aoife kaufte dort mit ihrem Mann, dem Koch Freddy, einen alten Gebäudekomplex, um ihn in eine denkwürdige Veranstaltungslocation zu verwandeln. Extravagant genug für die High Society, abgeschlagen genug, um sich den Paparazzos zu entziehen – der Prunkbau auf Inis an Amplóra ist die perfekte Kulisse für die Hochzeit der Trendsetterin Jules.

Die Handlung von Lucy Foleys The Guest List erstreckt sich im Kern lediglich über zwei Tage, wobei die eigentliche, gegenwärtige Erzählung immer wieder von Rückblicken aus der Sicht der einzelnen Charaktere unterbrochen wird. Die Erzählperspektive wechselt als sogenannte autodiegetische Erzählinstanz, also einem klassischen Ich-Erzähler, in sehr kurzen Kapiteln zwischen der Veranstalterin Aoife, der Braut Jules, deren jüngeren Halbschwester und Brautjungfer Olivia, der Ehefrau ihres Trauzeugen, Hannah, dem Bräutigam Will und dessen Trauzeugen Johnno. Diese sechs Perspektiven sind zugleich jene der möglichen Täter*innen – und des Opfers. Denn, wie sich im Verlauf der sich langsam entwickelnden Handlung herausstellt, hat jede*r von ihnen ihr*sein Päckchen zu tragen. Vor allem existiert zwischen allen von ihnen negativ belastete Verbindungen untereinander dementsprechend jeweils ein starkes und nachvollziehbares Motiv für die blutige Tat.

Zwischen jene autodiegetischen Kapitel, welche die zwei Tage von der Ankauft der ersten Gäste aus dem engeren Kreis bis zur Hochzeitsnacht erzählen, schieben sich außerdem mit zunehmender Häufigkeit Kapitel, die aus einer heterodiegetischen Perspektive erzählt sind, also aus der Sicht einer dritten, allwissenden und selbst nicht als Figur auftretenden Person. Jene Kapitel umfassen das eigentliche Hier und Jetzt, womit die – zugegebenermaßen sehr langgezogenen, aber sich nur über weniger als eine Stunde erstreckenden – Momente von der eigentlichen Tat bis zum Fund der Leiche gemeint sind. Die Handlung wechselt somit zwischen in ihrer Häufigkeit zunehmenden, heterodiegetischen Kapiteln, die mit «Now» überschrieben sind, und jenen Autodiegetischen, welche die Namen der jeweiligen erzählenden Figuren sowie einen Zusatz wie «The day before» oder «A few hours earlier» als Titel tragen.

The Guest List ist grundsätzlich aus jeder Erzählinstanz in der Gegenwart verfasst und wechselt in den innerhalb der Kapitel eingeschobenen, intradiegetischen Rückblicken natürlicherweise in die Vergangenheit. Dass sich jene Ich-Perspektive in den einzelnen Kapiteln nicht voneinander unterscheidet, macht es den Lesenden insbesondere zu Beginn nicht gerade einfach, die jeweiligen Charaktere auseinanderzuhalten und sich innerhalb der Figurenkonstellation zurechtzufinden. Dies relativiert sich jedoch im Laufe der Lektüre. Durch den Präsens als gewählte Zeitform der ersten Erzählebene verliert die Handlung zudem jede Distanz, sodass die Lesenden hautnah am Geschehen beteiligt sind. Der plötzliche Wechsel in das Präteritum in den innenfiktionalen Rückblicken liest sich fließend und stellt somit keinerlei Bruch dar – im Gegenteil dazu wirkt er natürlich.

Mit den zwei Tagen des Aufenthalts auf Inis an Amplóra ist die erzählte Zeit in The Guest List extrem kurz. Dies ermöglicht dem 380 Seiten starken Roman eine sehr langsame Handlungsentwicklung, was im Gegenzug jedoch viel Platz für die Charakterentwicklung übrig lässt. Während der Roman von seinen Lesenden im Großen und Ganzen positiv bewertet wird, finden sich auf einschlägigen Portalen auch einige durchwachsene Kritiken. Einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte sind die «flachen Charaktere» – eine Meinung, die ich absolut nicht teilen kann.

Die Autorin steckt sehr viel Mühe und Zeit in den Charakteraufbau, sodass für jede*n der sechs Hauptfiguren eine komplexe Hintergrundgeschichte ans Licht tritt. Jeder trägt ihreseine eigenen Ängste und Sorgen, ihreseine Fehler und ihreseine Reue mit sich. Auf diese Weise werden die Figuren nicht nur sehr nahbar, sondern auch höchst realistisch und geradezu aus dem Leben gegriffen. Die negativen Kommentare bezüglich der Charakterentwicklung sind offenbar der Tatsache geschuldet, dass jene Figuren in der Konsequenz ihres ausführlichen und realitätsnahen Aufbaus allesamt nicht sonderlich sympathisch sind, was eine Identifikation erschwert – wobei ich persönlich mich hervorragend mit Hannah («The Plus One») und Olivia («The Bridesmaid») identifizieren konnte. Denn wer wird schon gerne mit der Nase voraus in ihre*seine eigenen, viel zu realistischen Probleme und zweifelhaften Charakterzüge gestoßen?

Alle haben ein Motiv

Ich habe The Guest List innerhalb von zwei Tagen verschlungen – genauso lange, wie die erzählte Zeit dauert. So langsam sich die Handlung auch aufbaut, so intensiv ist sie von den ersten Seiten an. Als Lesende wird man tief in die schrecklichen Geschehnisse und Erlebnisse der einzelnen Charaktere hineingezogen und kann deren Schmerzen und somit auch deren jeweilige Motive hervorragend nachvollziehen.

Im Vordergrund hält jemand "The Guest List" von Lucy Foley in die Kamera. Eine weiße Katze reibt ihre Nase am Buch. Im Hintergrund sieht man eine Wiese voller herblistlichem Laub.
Partnerlook: Luzifer und „The Guest List“

Ein ebenfalls häufiger Kritikpunkt ist die Vorhersehbarkeit der gesamten Handlung, sowohl in Bezug auf das Opfer, dessen Identität erst auf den letzten Seiten offenbart wird, als die Leiche schließlich gefunden wird, sowie auf die*den Täter*in. Tatsächlich wird zwischen den Zeilen relativ schnell klar, wer die Hochzeit nicht überleben wird. Was die*den Mörder*in angeht, so hat sich meine eigene, relativ frühzeitig aufgestellte Vermutung zwar letztendlich als korrekt herausgestellt, jedoch können alle Charaktere letzenderes ein ebenbürtigen Motiv aufweisen, weshalb ich in meiner Einschätzung besonders gegen Ende noch einmal verunsichert wurde.

Das Ende selbst dagegen hat mich nach diesem extrem aufwändigen und komplexen Charakteraufbau etwas enttäuscht. Es fühlt sich an, als würde aus einem zum Zerreißen angespannten Luftballon die Luft plötzlich einfach herausgelassen. Kaum sind Opfer und Täter*in in den insgesamt sehr nüchtern gehaltenen letzten Kapiteln enthüllt, ist der Roman auch schon vorbei. Während mich also die teilweise vorhersehbare Handlung vor dem Hintergrund der komplexen Charaktere und der extrem intensiven Atmosphäre weniger störte, so hinterlässt das abrupte Ende einen etwas schalen Nachgeschmack.

Trotzdem habe ich die Lektüre von The Guest List sehr genossen und die Handlung als gleichermaßen fesselnd und aufwühlend empfunden. Angesiedelt auf einer malerischen irischen Insel entfaltet sich die Tragödie inmitten einer wunderbar lebhaften Atmosphäre. Insofern gibt es von mir eine klare Leseempfehlung!

Kurz & Bündig

PositivNegativ
SchreibstilIntensiv & lebhaft ★
SpannungFesselnd ★Teilweise vorhersehbar ☆
CharaktereAuthentisch & tiefgründig ★
SettingSehr atmosphärisch ★
HandlungLangsam aufbauend ★Stumpfes Ende ☆

Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆

PS: The Guest List hat es übrigens auch auf diese Top Ten-Liste geschafft!


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